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2001 Panne Nr. 3 – Achslagerschaden

Panne Nr. 3 – Achslagerschaden

Der Sonderzug ‘Preußen‘ am 16. Juni von Hamburg nach Berlin ist ‘hoch aufgehängt‘, hat doch das ‘Hamburger Abendblatt‘ die Rolle des Veranstalters von der DB übernommen und die Fahrt als Leserreise angepriesen. Dank demzufolge guter Buchungszahlen war dieser Zug mit 11 Wagen Auslastung, sowie der knapp 300 Kilometer langen Fahrstrecke für unsere 012 gewissermaßen der erste ‘richtige‘ Zug seit ihrer Wiederinbetriebnahme im Mai dieses Jahres. Lokführer Bodo Gifhorn und Heizer Sven Grünwoldt bringen Lok und Zug störungsfrei nach Berlin, Wolfgang Marten als begleitender Lehrlokführer hat an den beiden nichts auszusetzen.

Unter Martens Aufsicht wird im ehemaligen Bw Berlin=Grunewald die fällige Nachschau ausgeführt. Nichts deutet daraufhin, dass außer dem Frischdampfrohr zur Luftpumpe, welches am Bund gerissen war und in Berlin repariert werden kann, an der Lokomotive etwas nicht in Ordnung sein könnte. Also wird die Rückfahrt nach Hamburg planmäßig angetreten.

Die Strecke von Berlin-Charlottenburg bis Ludwigslust, das sind stolze 159 Kilometer, wird ohne Halt in flotter Fahrt zurückgelegt. In ‘Lud‘ ist Personalwechsel und Wasserhalt. Bodo Gifhorn übergibt die Lokomotive an seinen Ablöser Holger Lemke, nicht jedoch, ohne zuvor mit ihm noch einmal alle Achs- und Stangenlager, sowie die Kreuzköpfe und Steuerungsteile genauestens begutachtet zu haben. Die beiden Lokführer erkennen keine Unregelmäßigkeiten. Thomas Boldt hat derweil den Dienst als Heizer von Sven Grünwoldt übernommen. Da in Ludwigslust keine geeigneten Sozialräume vorhanden sind, in denen sich das abgelöste Personal hätte waschen und umziehen können, beschließen Gifhorn und Grünwoldt, bei ihren Kollegen auf dem Führerstand der 012 bis Hamburg zu verbleiben. 

Nach knapp 30 Kilometern zeigt das Einfahrvorsignal des Bahnhofs Brahlsdorf ‘Langsamfahrt erwarten‘. Lemke bremst zunächst auf die vorgeschriebenen 80 km/h ab, um den Zug dann vor dem ‘Halt‘ zeigenden Ausfahrsignal zum Stillstand zu bringen. Der Streckenfahrdienstleiter meldet sich per Zugfunk und teilt mit, dass zum einen die Überholung durch einen InterCity vorgesehen sei, zum anderen die ‘Heißläuferortungsanlage‘ (HOA) angesprochen habe. (Dieses Ansprechen von HOAs ist bei Dampflokfahrten nichts außergewöhnliches, messen die fein eingestellten Sensoren die Strahlungswärme von Zylinder und Feuerbuchse und deuten diese als Heißläufer.)  

Lemke steigt ab, um sicherheitshalber alle Triebwerksteile auf Erwärmung abzufühlen. Auf der linken Lokseite stellt er mit Schrecken fest, dass das Achslager des 2. Treibradsatzes übermäßig stark erhitzt ist. Eine Weiterbeförderung des 11-Wagenzuges nach Hamburg kommt somit nicht mehr in Frage. Die Überprüfung der ohne Arbeitsgrube nur sehr schwer zugänglichen Achslager-Unterkästen ergibt, dass das heißgelaufene Lager im Gegensatz zu den übrigen seit der Nachschau in Berlin kaum Öl verbraucht hat, es also offensichtlich zu einer Unterbrechung des Ölflusses vom Unterkasten über das Schmierpolster zum Achsschenkel gekommen sein muss. Ein schweres Gewitter wütet über Brahlsdorf. Als das Lokpersonal dem Zugführer und der Reiseleitung den Ausfall der 012 meldet schlagen unmittelbar neben der Lokomotive mehrere Blitze ein. 

Die Dampflok muss vom Zug abgekuppelt und eine Ersatzlok angefordert werden. Knapp zwei Stunden dauert es, bis die 110 360-5 aus Schwerin eingetroffen ist, um den Zug nach Hamburg zu befördern. Für unsere Kollegen Lemke und Boldt steht indes eine lange, schwere Nacht bevor. Sie haben die stark beschädigte Lok unter ständiger Beobachtung des heißgelaufenen Lagers mit maximal 30 km/h nach Neumünster zu fahren. Als sie gegen 05.30 Uhr das Bw Hamburg= Eidelstedt erreichen, sind sie mit ihrer Kraft am Ende. Sie stellen die Lok ab, legen eine 12-stündige Pause ein und setzen die Fahrt am Sonntagabend fort.  

Am 22. Juni wird die Lok im Beisein von Jörg Sekund, Betriebsleiter des DBMuseums, durch Fachleute des Dampflokwerks Meiningen besichtigt. Der betreffende Unterkasten, sowie die seitlichen Keile des Mangold-Lagers werden demontiert. Das ausgeschmolzene Lagermetall hat das Schmierpolster derart zugesetzt, dass es gegen seine Federkraft nach unten, und somit vom Achsschenkel weggedrückt worden ist. Des Weiteren diagnostizieren die Meininger eine gewisse Unrundheit des Achsschenkels. Da das Lagermetall in dem Ziffernbereich 11 Uhr bis 2 Uhr noch trägt, und ein neues Schmierpolster eingesetzt worden ist, wird entschieden, dass die Lok mit eigener Kraft und einer V(max) von 30 km/h zur Instandsetzung ins Dampflokwerk Meiningen fahren kann. 

Der Überführungstermin wird für den 26. Juni angesetzt, einen Tag zuvor wird die Lok im Bw Neumünster angeheizt und unser Begleiterwagen seinen Anforderungen entsprechend mit Betriebsstoffen, Werkzeug, und Verpflegung aufgerüstet. Als Personal sind Thomas Boldt, Jörg Hinrichsen, Holger Lemke, Hendrik Speek und Volker Siewke eingeteilt. Die Fahrt dauert 60 (in Worten: Sechzig!) Stunden, bis Lüneburg wird mit eigener Kraft gefahren, dann ist die Lagertemperatur so hoch, dass das Schmieröl Feuer fängt und abgelöscht werden muss. Uns ist nun klar, dass das defekte Lager keinerlei Zug- und Bremskräfte mehr vertragen kann und die Lok fortan geschleppt werden muss.  

Thomas Boldt und Hendrik Speek fahren daraufhin nach Maschen, um dort von DBCargo die 232 631-2 zu übernehmen, die für den ‘Rest‘ der Strecke als Zuglok fungiert. Um den durch die Besetzung der Diesellok entstandenen Personalmehrbedarf decken zu können, wird Bodo Gifhorn als zusätzlicher Lokführer angefordert. Nach Beendigung seines planmäßigen Dienstes reist er mit dem Interregio 2187 nach Celle, legt eine Ruhepause im Begleiterwagen ein und besetzt anschließend die 012. Bis Hildesheim hat sich das Lager wiederum so stark erhitzt, dass wir auf die noch vorhandene Arbeitsgrube im ehemaligen Bw fahren um ein weiteres Mal den Unterkasten abzubauen. Durch das Feuer in Lüneburg hatte sich Ruß und Asche auf das Schmierpolster gelegt und die Weitergabe des Öls an den Achsschenkel beeinträchtigt. 

Mehr als weitere Worte mögen die Fahrzeiten der Überführungsfahrt aussagen, die hiermit (fast) kommentarlos wiedergegeben werden sollen. Zu erwähnen ist lediglich noch, dass am 26. und 27. Juni Lufttemperaturen von 27° bis 30° herrschten und in der Nacht zum 28. Juni zwischen Göttingen und Bebra ein schweres Gewitter niederging (in Eichenberg schlug wieder ein Blitz direkt neben der Lok ein). In Sehnde musste die Fahrt wegen einer Streckensperrung und in Göttingen zur Einhaltung einer gesetzlichen Ruhezeit unterbrochen werden. 

Fahrplan der Überführungsfahrt

Di, 26. Juni 2001

Neumünster ab 00:13, Brokstedt 00:47/01:14, Wrist 01:30/01:52, Dauenhof 02:16/02:19, Elmshorn 02:52/02:57, Tornesch 03:08/03:10, Hmb.-Eidelstedt Stw ErI 03:37/03:40, Hmb.-Eidelstedt Stw Egs 03:45/03:46, Langenfelde Bbf 03:54/04:39, Hamburg Hbf 04:56/05:04, Maschen Rbf Bez. Mswf 05:44/06:04, Winsen/Luhe 06:24/06:55, Bardowik 07:16/07:22, Lüneburg 07:36/14:02, Deutsch Evern 14:11/14:23, Bienenbüttel 14:27/15:04, Bad Bevensen 15:27/16:12, Uelzen 16:33/16:38, Klein Süßstedt 16:47/17:09, Suderburg 17:24/17:33, Unterlüß 17:58/18:31, Eschede 18:52/19:07, Garßen 19:24/19:43, Celle 19:55/23:57

Mi, 27. Juni 2001

 

Ehlershausen 00:15/00:23, Burgdorf 00:38/00:41, Lehrte Nordgruppe 00:57/01:07, Sehnde 01:33/06:29, Algermissen 06:43/06:53, Harsum 07:01/07:03, Hildesheim 07:19/11:08, Emmerke 11:18/11:19, Nordstemmen 11:26/11:28, Elze 11:41/11:45, Banteln 11:57/12:26, Alfeld 12:46/12:47, Freden 13:02/13:51, Kreiensen 14:11/14:50, Northeim 15:28/15:55, Nörten-Hardenberg 16:12/16:14, Göttingen 16:38/22:28, Rosdorf 22:35/22:41, Obernjesa 22:50/23:01, Friedland 23:10/23:18, Eichenberg 23:30/23:42

 

Do, 28. Juni 2001

Oberrieden 00:01/00:20, Bad Sooden-Allendorf 00:30/00:42, Eschwege=West 01:03/01:34, Hoheneiche 01:48/01:52, Sontra 02:03/03:01, Cornberg 03:15/03:21, Bebra 03:50/05:17, Hönebach 05:44/06:29, Gerstungen 06:45/06:52, Wartha 07:13/07:22, Eisenach 07:50/08:23, Förtha 08:35/08:45, Marksuhl 08:55/09:40, Oberrohn 09:52/09:57, Bad Salzungen 10:07/10:23, Immelborn 10:34/10:54, Wernshausen 11:11/11:13, Meiningen an 11:49

 

 Bild-3a.jpg Bild-3b.jpg An mangelnder Aufmerksamkeit des Lokpersonals kann es nicht gelegen haben, dass am 16. Juni auf der Rückfahrt von Berlin nach Hamburg im Bahnhof Brahlsdorf ein ausgeschmolzenes Achslager die Lokomotive lahmlegt. Kurz zuvor ist die Lokomotive noch in Ludwigslust von den Lokführern Gifhorn und Lemke eingehend untersucht worden. (Fotos: V. S.)