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2001 Panne Nr. 2 – Stehkesselriss

Panne Nr. 2 –  Stehkesselriss

Zu Pfingsten hat das DBMuseum zwei interessante Fahrten ab Hamburg für die 012 100-4 in das Programm aufgenommen. Am Pfingstsamstag den Sonderzug ‘Zugvogel‘ nach Puttgarden auf der Insel Fehmarn und am Pfingstmontag den ‘Molli‘ nach Rostock (mit Weiterfahrt im Triebwagen zur Schmalspurbahn Bad Doberan – Kühlungsborn).

Unsere 012 soll in der Nacht von Freitag auf Samstag im Bw Neumünster angeheizt werden, als Personal sind Volker Siewke (Kesselwärter) und Günter Alsleben (Heizer) eingeteilt. Einer guten wie bewährten Sitte in unserem Verein folgend sind wir aber zu dritt, Hendrik Speek beteiligt sich in seiner Freizeit an den doch recht umfangreichen, und drei Männer schon auslastenden Arbeiten. Obendrein fangen wir einen halben Tag eher an, als es der Dienstplan vorsieht, lieber sind wir einige Stunden vor der Postenzeit fertig mit dem Anheizen, als dass wir durch unvorhersehbare Dinge unter Zeitdruck geraten. Darüber hinaus sind wir es unserem Lokomotivkessel schuldig, ihm genügend Zeit einzuräumen, um sich mit seinem Material an die geänderten Druck- und Temperaturverhältnisse zu gewöhnen

Die Arbeiten verlaufen in besagter Schicht wie am Schnürchen. Die 216 109-9, unsere Heizlok arbeitet absolut zuverlässig und hilft der 012 100-4 mit ihrem Dampf zu Eigenleben, sämtliche Schmierstellen werden sorgfältig überprüft und mit Öl versorgt, der ‘Hammermann‘ klopft alle neuralgischen Stellen ab, die Betriebsvorräte werden vollständig ergänzt, sogar zum Putzen bleibt noch Zeit. Gegen 23.30 Uhr sind alle Arbeiten erledigt, man hätte nun schon als Lz nach Hamburg fahren können, doch wir blasen die Lok (genauer: die Ölfeuerung) aus und lassen sie mit Spitzendruck noch eine Stunde im Lokschuppen stehen

Als danach Kollege Alsleben das Zünden der Ölfeuerung vorbereitet, stellt er beim Besichtigen der Feuerbuchse ein anormales Dampfausströmgeräusch fest. Im Glauben, ein Stehbolzen könnte gerissen sein, sehen wir zunächst keine Hürde, unsere Fahrt anzutreten, sind wir doch zumindest in der Lage, eine solche Undichtigkeit zu vernageln. Bei genauem Hinsehen wird jedoch klar, dass wir es mit einer Unregelmäßigkeit ganz anderer Dimension zu tun haben: Im Umbug auf der Innenseite des Feuerlochringes, etwa in Zifferstellung zwei Uhr tritt aus einem ca. 2,5 cm breiten Riss Dampf aus.

Sofort wird das Zünden der Ölfeuerung abgebrochen und der Kesselsachverständige des DLW Meiningen, Wulf Rommel, per Handy angerufen. Dieser lässt sich den Schaden detailliert schildern und ordnet an, denn Kessel nicht weiter zu betreiben. Postwendend, so versichert er, würde er nach Neumünster eilen, wenn sein Handy in Meiningen geläutet hätte. Doch es lag auf dem Nachtschrank in einem Hotel in Budapest, wo er mit seiner Gattin einen Kurzurlaub verbracht hat. Des Weiteren ist der Betriebsleiter des DBMuseums, Jörg Sekund, aus dem Bett zu klingeln, und über den Vorfall zu unterrichten.

Gemeinsam mit Jörg Sekund entwickeln wir zu nächtlicher Stunde einen Plan: Lok drucklos machen, Wasser ablassen, einen Sachverständigen und einen Kesselschweißer herbeiholen, Kesselriss schweißen, Druckprobe ausführen, Lok wieder anheizen und am Pfingstmontag nach Rostock fahren.

Dieser kühnen Idee Taten folgen zu lassen, setzt u.v.a. eine mehrstündige Telefonodyssee voraus, denn zu Pfingsten einen Kesselsachverständigen und einen autorisierten Schweißer adhoc zu mobilisieren, ist schon mit gewissem Organisationsaufwand verbunden. Dipl. Ing. Peter Semjan vom TÜV Nord und Gerd Burian, der schon 1988/89 die Rauch- und Heizrohre in die 042 271-7 eingeschweiß hatte, erklären sich schließlich spontan bereit, den Schaden zu besichtigen und das weitere Vorgehen abzustimmen. Zu Wulf Rommel in Budapest und Jörg Sekund in Essen werden Telefonverbindungen hergestellt, die Sachverständigen tauschen sich gegenseitig aus und legen die einzelnen Arbeitsschritte fest.

Nachmittags um 15.00 Uhr ist Gerd Burian zur Stelle. Der Kessel ist drucklos und das Wasser soweit abgelassen, dass der Riss trocken liegt. Nun wird der Riss ausgeschliffen, und zwar in einer Länge von ca. 6 und einer Breite von ca. 0,5 cm. Anschließend wird mit einer Spezialelektrode Stärke 2,5 mm eine sog. ‘Wurzellage‘ geschweißt, darauf 5 ‘Fülllagen‘ und schließlich die ‘Decklage‘ gebracht. Jede Schweißnaht wird geschliffen und die Decklage zum Schluss geglättet. Bevor der Kessel wieder mit Wasser gefüllt und zur Druckprobe vorbereitet werden kann, wird unter Aufsicht des TÜV-Sachverständigen mit einem Rissprüfmittel der sog. ‘Mittelcheck‘ durchgeführt. Bei diesem Verfahren ist durch Verfärbung gewisser chemischer Substanzen, die in bestimmten zeitlichen Abständen aufgesprüht werden, die Güte von Schweißnähten zu erkennen. Dipl. Ing. Semjan verfolgt mit Argusaugen den Mittelcheck und lässt anschließend die Wasserdruckprobe ausführen.

Das Ergebnis wird protokolliert und dem DLW Meiningen, sowie dem DBMuseum zugeleitet. Sodann kann der Kessel der 012 100-4 auf Anordnung des Betriebsleiters wieder angeheizt und die Lokomotive für den Sonderzug ‘Molli‘ am Pfingstmontag eingesetzt werden.

 

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Aus Sicherheitsgründen musste der Dampf aus dem Kessel der 012 100-4 in der Nacht vom 01. zum 02. Juni abgelassen werden. Ein beim Anheizen entdeckter Kesselriss ließ einen Weiterbetrieb des Druckbehälters nicht mehr zu. (Foto: V. S.)